Nachruf auf Prof. Dr. Eberhard Seidel
Prof. Eberhard Seidel konzipierte für das HAUS DER ZUKUNFT die betriebswissenschaftliche Schriftenreihe „Rechte der Natur / Biokratie“, die er gemeinsam mit Umweltpionier Dr. Georg Winter, Stifter und Vorstand der Winter Stiftung für Rechte der Natur (Gründer des HAUS DER ZUKUNFT, Kompetenzzentrum für Wirtschaft und Umwelt) 2015 im Metropolis Verlag herausgab. Die 22 Autorinnen und Autoren schlagen von ihrem Arbeitsgebiet im Bereich von Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement eine Brücke hin zum Thema Rechte der Natur/Biokratie. Die wissenschaftliche Betreuung der 20-bändigen Publikation lag bei Prof. Eberhard Seidel. Es ist sein Verdienst, dass das bisher lediglich rechts- und politikwissenschaftliche Konzept für die Ökonomie begrifflich und sachlich erschlossen wurde. Damit hielt das Thema Rechte der Natur Einzug in die Wirtschaftswissenschaften.
Ein besonderer Dank gebührt Herr Prof. Eberhard Seidel für die Initiierung und Begleitung einer umfangreichen Festschrift, mit der er Dr. Georg Winter 2011 überraschte. Der im Metropolis-Verlag erschienene Sammelband „Georg Winter – Pionier der umweltbewussten Unternehmensführung“ vereint 51 Beiträge von 46 Autorinnen und Autoren. Darin werden die Lebensleistung und die facettenreiche Person Georg Winter beschrieben und eingeordnet. Die besondere Leistung von Prof. Eberhard Seidel liegt nicht nur in der Organisation der Publikation sondern v.a. in dem Konzept und der Auswahl der Aufsätze, die die Initiierung und die Praxis des Winter-Modells, des weltweit ersten Integrierten Systems Umweltorientierter Unternehmensführung beleuchten und seine weltweite Bedeutung einordnen sowie das unternehmerische Handeln in Verantwortung für Gesellschaft und Natur würdigen. Dr. Georg Winter schrieb 2011 Herrn Prof. E. Seidel: "Von ganzem Herzen danke ich dem Herausgeber Prof. Dr. Eberhard Seidel, mit dem mich eine Jahrzehnte währende Freundschaft und fachliche Zusammenarbeit verbindet, dass er den mutigen Entschluss fasste, ein so komplexes Werk anzupacken und es zu meinem Geburtstag vollendete. ... Mehrere Beiträge haben mich nicht nur fachlich überzeugt, sondern gleichzeitig durch ihre innere Nähe zu meinem Denken und Fühlen berührt und beglückt. Die Festschrift ist ein Dokument des Zusammenhaltens, des Zusammenwirkens, des Zusammenwachsens, ja sogar des Zusammenklingens von Menschen, die sich von einer gemeinsamen Aufgabe gefordert und beseelt fühlen und entschlossen sind, den Weg in Richtung einer zukunftsfähigen Gesellschaft gemeinsam fortzusetzen."
Als Pionier der ökologischen Betriebswirtschaftslehre bzw. der betrieblichen Umweltwirtschaft erbrachte Prof. Eberhard Seidel herausragende Leistungen im Rahmen seiner Lehrtätigkeit im In- und Ausland sowie in seiner Funktion als FÖB-Schriftleiter. Hier betonte er besonders auch die betriebswirtschaftliche Dimension seiner Zukunftskonzeption Umweltschutz. Das von Dr. Georg Winter ab 1972 entwickelte und in die Praxis eingeführte „Integrierte System umweltorientierter Unternehmensführung“ übernahm Seidel frühzeitig in seine volkswirtschaftlichen Überlegungen. Auch arbeitete er eng mit dem 1984 gegründeten Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M. e.V.) sowie mit dem 1991 gegründeten International Network for Environmental Management (INEM) sehr frühzeitig zusammen. BAUM e.V. ist seit 1996 Mitglied der Standortgemeinschaft HAUS DER ZUKUNFT in Hamburg. Schon 1994 würdigte der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusste Unternehmensführung BAUM e.V. die herausragenden wissenschaftlichen Leistungen von Prof. Eberhard Seidel indem ihm der B.A.U.M.-Umweltpreis im Bereich Wissenschaft verliehen wurde.
Die Winter Stiftung für Rechte der Natur und das HAUS DER ZUKUNF bewahren die Erinnerung an die Lebensleistung von Eberhard Seidel. Hierzu ein ganz persönliches Wort von Dr. Georg Winter: (Stifter, Gründer, Umweltpionier): "Bei langen Wanderungen auf Goethes Spuren in Marienbad, im historischen Fürst-Pückler-Park bei Görlitz und im Alten Land an der Elbe lernte ich Eberhard Seidel als umfassend kulturbewussten Menschen kennen, der mein herzliches Vertrauen gewann und zum Freund wurde. Wo es um die Wahrheit ging, war Eberhard Seidel kein Pilgerweg zu lang oder beschwerlich. Eberhard Seidel war ein begnadeter Mensch!"
Link: Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Eberhard_Seidel_(%C3%96konom)
https://www.wiwi.uni-siegen.de/dekanat/aktuelles/news_archiv/ss2016/ehrungen/683258.html
Die Lebensleistung von Herr Prof. Seidel fasst Univ.-Prof. (em.) Dr. Norbert Krawitz in seinem Nachruf für die Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht an der Universität Siegen zusammen:
Eberhard Seidel gehörte von 1975 bis zu seiner Emeritierung im Juli 2001 als Hochschullehrer unserer Fakultät an und blieb der Universität Siegen darüber hinaus noch lange Jahre auch nach der Rückkehr in seine geliebte Heimatstadt Plauen eng verbunden.
Eberhard Seidel wurde am 5. Mai 1936 in Plauen/Vogtland geboren. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität (FU) Berlin mit dem Abschluss zum Diplom-Kaufmann. Nach einem „Studium generale“ an der Universität Wien und der Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent an der FU Berlin pro-movierte er dort 1965 zum Dr. rer. pol. Er folgte seinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Knut Bleicher, an die Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er sich 1974 für das Fach Betriebswirtschaftslehre habilitierte. 1975 nahm er den Ruf an die damalige Gesamthochschule, heutige Universität Siegen auf den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation an, den er bis zu seiner Emeritierung 2001 innehatte. Er verstand diese Spezialisierung jedoch nicht als bloße einfache strukturelle Gestaltung von Unternehmen, sondern stellte vor allem die Unternehmensführung mit ihren verschiedenen Aspekten in den Mittelpunkt dieses ersten Schwerpunktes seiner Forschung und Lehre. Nach seiner Rufannahme leistete Seidel einen wesentlichen Beitrag zum Aufbau des Faches Betriebswirtschaftslehre im sogenannten Langzeitstudiengang des damaligen Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften, der sich auch in der Übernahme verschiedener Ämter der akademischen Selbstverwaltung zeigte.
Seine berufliche Tätigkeit beschränkte sich jedoch nicht auf die Universität Siegen, sondern erstreckte sich national und international weit darüber hinaus. Eberhard Seidel nahm Gastprofessuren an den Universitäten St. Gallen, Innsbruck und Riga, der Wirtschaftsuniversität Wien und der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau sowie Gastdozenturen an den Universitäten Lüneburg und Bremen wahr. Er unterzog sich zahlreichen Vortragsreisen in europäische, amerikanische und asiatische Staaten bis nach Hawaii, China und Japan. Viele seiner wissenschaftlichen Texte sind außer in Deutsch und Englisch auch in anderen Sprachen erschienen.
Bleibende, herausragende Bedeutung kommt der zukunftsweisenden Entwicklung seiner Forschungen und seinen Angeboten in einer ökologisch orientierten und an dem Nachhaltigkeitspostulat ausgerichteten Betriebswirtschaftslehre zu. Dazu gründete Eberhard Seidel im September 1989 das Institut für Ökologische Betriebswirtschaft (IÖB) als An-Institut an der Universität Siegen. Konsequenterweise erreichte er einige Zeit später die Umwidmung seines Lehrstuhls in „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Organisation und Umweltwirtschaft“. Er initiierte die Bildung eines Forschungsnetzwerkes im deutschsprachigen Raum und die Errichtung einer Wissenschaftlichen Kommission Umweltwirtschaft im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (heute Verband der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V.). Ab Januar gab er mit dem IÖB als Träger den kostenlosen „Forschungsinformationsdienst Ökologisch orientierte Betriebswirtschaftslehre (FÖB)“ heraus, das als zweckdienliches Publikationsorgan für alle ökologisch interessierten Forscherinnen und Forscher diente. Zeitlich befristet geplant ging es 1992 über in die professionelle Fachzeitschrift „UmweltWirtschaftsForum (UWF)“, die in einem renommierten Fachverlag erschien.
[…] Seine Forschungen auf dem Gebiet der ökologisch orientierten Betriebswirtschaftslehre schlugen sich in zahlreichen Veröffentlichungen, Herausgeberschaften, Tagungen, Vorträgen, Konferenzteilnahmen, in der akademischen Lehre und einschlägigen Gremien nieder. Genannt werden soll beispielsweise die Mit-gliedschaft in der Prüfungskommission und Schlichtungskommission für Umweltgutachter nach dem EG-Umwelt-Audit im Bereich Banken und Versicherungen. Als ein ausgewähltes Beispiel der vielfältigen Lite-raturbeiträge sei auf das wegweisende Werk „Ökologisch orientierte Betriebswirtschaft“, Stuttgart u.a. 1988 (mit H. Menn) verwiesen. Zahlreiche Studierende, Promovenden und sein Habilitand konnten von seiner Fachkompetenz und seinen didaktischen Qualitäten profitieren. Die Ökologieorientierung entwickelte Seidel konsequent weiter in ein betriebliches bzw. betriebswirtschaftliches Umweltmanagement, an das sich später auch das sogenannte Nachhaltigkeitsmanagement anschloss.
Seine herausragenden wissenschaftlichen Leistungen wurden durch verschiedene Auszeichnungen gewürdigt. Zu nennen sind insbesondere der B.A.U.M.-Umweltpreis im Bereich Wissenschaft (1994), die Eh-renpromotion der Universität Riga (1994), die Widmung der persönlichen Festschrift „Bausteine einer nachhaltigkeitsorientierten Betriebswirtschaftslehre“ (Hrsg. Thomas Göllinger, Marburg 2006) sowie die Auszeichnung „Für herausragende Leistungen als Pionier der ökologischen Betriebswirtschaftslehre“ durch die Schweisfurth-Stiftung (2016).
Zu den Würdigungen seiner Persönlichkeit und wissenschaftlichen Verdienste kann man auch den Empfang zum seinem 60. Geburtstag, das Kolloquium zum 70. Geburtstag und das Symposium zum 80. Geburtstag zählen. Ebenso gehören dazu die verschiedenen Literaturbeiträge, die Eberhard Seidel als Wissenschaftler und Persönlichkeit würdigen. Seine innovative Leistung als Pionier und Vordenker der ökologieorientierten Betriebswirtschaftslehre wird unvergessen bleiben.
Wir verlieren nicht nur einen allzeit pflichtbewussten, fachlich und didaktisch hervorragenden Kollegen, sondern eine freundliche und immer hilfsbereite Persönlichkeit, der die Fakultät und die gesamte Universität viel zu verdanken hat. Unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme gilt insbesondere seiner gesamten Familie. Wir werden Eberhard Seidel ein ehrendes Andenken bewahren.
Für die Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht an der Universität Siegen Univ.-Prof. (em.) Dr. Norbert Krawitz